
Ruandareise unter Leitung von Innenminister Lewentz (fotos: ratter)


Themenzuständige: Bildung, Kultur
Mitglied: AK 3 "Bildung, Soziales und Integration"
Der zweite Teil meines Berichtes zur Delegationsreise nach Ruanda fällt mir nicht leicht. Das mag daran liegen, dass schon wieder etliche Tage vergangen sind, aber ehrlicherweise will ich zugeben, dass nicht nur die einfachen Themen damit beleuchtet werden und ich mir vielleicht auch deswegen ein wenig Zeit gelassen habe.
Nach der Reise in den Akagera-Nationalpark, über den mein Facebookeintrag schon berichtet hat, gefüllt mit den Eindrücken einer vielfältigen Tierwelt, bleibt der letzte Tag offen, der uns mit dem Umuganda-Tag in Berührung brachte:
Einmal im Monat, am letzten Samstag, sind alle Berufstätigen Ugandas verpflichtet, den Vormittag mit gemeinnützigen Arbeiten zu verbringen. Der öffentliche Verkehr ruht, nur wir Muzungus machen uns mit unserem Bus auf, zu unserer Sammelstätte, einem Vorort Kigalis, zu kommen. Unser Einsatz findet auf einem Maisfeld statt. Etwa 1000 Leute sind schon vor uns da. Wir werden ausgerüstet mit eine Hacke oder einem Stock, einer Schüssel mit Düngesalzen oder einem Kronkorken. Und natürlich eingearbeitet in Viererteams: Die erste Person zieht mit dem Stock einen Kreis um eine Maispflanze, die zweite streut in den Kreis mit dem Kronkorken wohlproportioniert den Dünger, den die dritte hält und die vierte verteilt die Erde mit der Hacke über den Dünger. Auch bekannte PolitikerInnen ackern mit: die Ministerin Geraldine Mukeshimana, der Staatsminister aus dem Landwirtschaftsministerium Tony Roberto Nsanganira, der neue Premierminister Anastase Murekezi sowie der Präsident des Internationlen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (UN) Dr. Kanayo F. Nwanze aus Nigeria.
Mit über tausend Leuten ist die Feldarbeit schnell getan, und es bleibt Zeit, hier und da noch ein wenig zu jäten, bis der Premierminister kommt - nicht nur uns zu Ehren, wie die Fotos vielleicht glauben machen! Vielmehr scheint der eigentliche Zweck des "Dreck-weg-Tages" in der abschließenden Kundgebung zu liegen. Warum auch nicht in einem Land, in dem die BürgerInnen nicht durch die abendliche Tagesschau oder die morgendliche Zeitung zu erreichen sind. Die Vision der Regierung von Ruanda im Jahr 2020 ist dann auch das Thema der Versammlung um den zentralen Platz. Keiner drückt sich trotz sengender Mittagssonne. Nur für uns sind Stühle aufgebaut und werden Wasserflaschen gereicht. Die Menschen stehen im Kreis und lauschen diszipliniert den Reden des Bürgermeisters, des Distriktverantwortlichen und des Premierministers. Dazwischen skandieren sie Parolen im Wechsel, die Redner beklatschend. Ich werde das Gefühl nicht los, Teil einer Inszenierung zu sein.
Am Nachmittag dann ein weiterer Besuch in einem Museum in Kigali, dem Kandt-Haus. Benannt nach Richard Kandt, einem Afrikaforscher, Entdecker einer der Nilquellen und Begründer Kigalis. Hier werde ich einmal mehr mit der Kolonialgeschichte des Landes konfrontiert. Das Haus beherbergt Ausstellungen zu den Nationalparks in Ruanda und ihrer Tierwelt, zur Geologie des Landes, aber eben auch zur Geschichte des Hauses selbst, das zu einer Zeit (Ende des 19. Jhdts.) entstand, da die heutige Millionenstadt Kigali nur wenige Einwohner hatte. Die Kolonialgeschichte bietet Anreize zur weiteren Zusammenarbeit der Museen und ihrer Leitungen, beidseitige Offenheit eröffnet Perspektiven für die kommenden Jahre. Das Kandt-Haus, Sitz der ist eines der bislang fünf Museen des Staates, die ich nun schon besucht habe (Königspalast in Nyanza, Präsidentenvilla in Kigali, Nationalmuseum in Butare, zentrale Gedenkstätte des Genozid in Kigali) und stolz zeigen uns ihr staatlicher Leiter und seine MitarbeiterInnen wie schon in den vergangengen Tagen ihre Ausstellungen, darunter dieses Mal auch lebende Giftschlangen. Ein Gespräch mit dem Archäologen des Landes belegt seine Aufgeschlossenheit und den Wunsch des Leiters der Museen nach Unterstützung durch das Partnerland bei möglichen Ausgrabungen. Wir sind überall willkommen, ohne Zweifel gibt es auch viel zu tun, harren doch noch Projekte, die baulich schon realisiert sind, ihrer Ausstattung - wie etwa das neue Museum zur Ökologie des Landes...
Abschluss der Reise bei der Deutschen Welle: Hier kann man eine Idee davon verspüren, wie die Europäer vor dem Genozid in Ruanda residierten. Aber das liest man/frau besser in der taz nach, im dortigen Ruandatagebuch Folge 5!
Die Rückreise beginnt mit einem Wiedergänger-Erlebnis: Wie beim letzten Besuch ist der Drucker nicht in der Lage, die Boardingpässe auszustellen...
Zeit zum Nachdenken in der Warteschlange: Viele neue Eindrücke hat mir diese Reise beschert. Positive, den Aufwärtstrend des Landes bestätigend. Doch bleiben auch Bedenken. Wird es gelingen, den Menschen dauerhaft Freiheit, Sicherheit und Auskommen zu ermöglichen? Zu viele haben durch den Abriss ganzer Viertel in Kigali auch den sozialen Halt in der Gesellschaft verloren, sind gezwungen aufs Land zurückzukehren, wo alte Konflikte aufzubrechen drohen.
Welche Rolle kann hier die Graswurzelpartnerschaft spielen?
Bedrückend bleibt auch: Ein Mann, den ich nur allzu gern wiedergetroffen hätte, ist wie vom Erdboden verschluckt! Niemand scheint ihn zu kennen! Zufall?
Ja, afrikanische Uhren ticken nicht wie europäische. Aber Menschenrechte sind nicht in afrikanische und europäische teilbar!
Nachtrag zu Gacaca
Ein wesentlicher Erfolg der Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Ruanda und RLP liegt in der Unterstützung bei der Digitalisierung der Gagaca-Dolkumente. Die zivilen Gerichtsverhandlungen wurden schriftlich dokumentiert und können so gesichert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Bildung: Ruanda hat durchgängig eine Schulpflicht über sechs Jahre sowie weiterführende Schulen im Sekundarbereich von ebenfalls sechs Schuljahren
Gesundheit: Ein mehrstufiges Gesundheitssystem, das über Gesundheitszentren zur Aufklärung und Erstdiagnose über Distriktkrankenhäuser zu den Universitätskliniken führt, erlaubte in den vergangenen Jahren eine Zurückdrängung der Infektionskrankheiten (HIV, Malaria und Tuberkulose sowie Hepatitis). Es gibt sogar eine Krankenversicherungspflicht. Allerdings ist schwer zu beurteilen, wer die Beiträge bezahlen kann und wann im Jahr die Leistungsfähigkeit der Kasse erschöpft ist.
Weitere Informationen:
Die offiziellen Übereinkünfte aus der Delegation mit dem Staat Ruanda sind hier nachzulesen: