Landtag Infos
Themenzuständige: Bildung, Kultur
Mitglied: AK 3 "Bildung, Soziales und Integration"
Landtagsausschüsse:
- Stellv. Vorsitz: Ausschuss für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur;
- Ausschuss für Bildung;
- Ausschuss für Europafragen und eine Welt (stellv.)
Gremien:
- Oberrheinrat;
- Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur;
- Landesstiftung Arp Museum;
- Kuratorium des Vereins Kultursommer RLP;
- Härtefonds des Landes RLP zur Unterstützung von Opfern des Nationalsozialismus
- Landesbeirat für Weiterbildung (stellv.)
- Beirat des Künstlerhaus Edenkoben
- Kuratorium der Universität Koblenz-Landau
- Vizepräsidentin des Partnerschaftsverbandes Rheinland-Pfalz/Burgund e. V.
Rede zur Debatte zum Thema Sterbebegleitung dazu: "Menschenwürdig leben bis zuletzt" (Antrag der Fraktion der CDU – Entschließung / Drucksache 16/5292) sowie "Gute ambulante und stationäre Hospiz- und Palliativversorgung in Rheinland-Pfalz weiter ausbauen" (Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Entschließung / Drucksache 16/5299)
Abg. Ruth Ratter, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Danke Herr Präsident! Rechte fallen nicht vom Himmel, Mann, Frau muss sie sich erkämpfen, auch das Recht auf Selbstbestimmung, das lehrt uns der Blick in die Geschichte. Das Recht auf Selbsttötung ist ein Selbstbestimmungsrecht. Wer es nur mit Hilfe einlösen kann, dem darf diese Hilfe nicht verweigert werden. Wir haben mehrfach gehört, dass Suizid nicht bestraft werden kann – wie denn auch im Falle des Vollzugs? – und auch Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafrechtlich verfolgt werden darf. Von jährlich 100.000 Selbsttötungsversuchen in Deutschland werden 10.000 vollzogen. Dennoch wird der Suizid häufig verbrämt, tabuisiert und etwa bei der Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses auch sanktioniert.
In der Apologie des Sokrates legt Platon seinem Protagonisten in den Mund, er, Sokrates trinke den Schierlingsbecher aus freien Stücken und verzichte darauf, sich dem Urteil der freien Männer von Athen zu unterziehen. Der Kasus ist hinreichend bekannt. Er untermauert, dass ein Mensch nach reiflicher Überlegung in freier Entscheidung den Weg in den Tod wählen kann. Ich führe Sokrates als Kronzeugen an, fest überzeugt davon, dass die Aufgabe der Sterbebegleitung nicht allein durch die Einrichtung und den Ausbau von noch so guten Palliativstationen und Hospizen geleistet werden kann, auch nicht durch eine regional verdichtete ambulante Versorgung, persönliche Betreuung und individuelle mitfühlende Hilfe. Diese Ansätze sind alle richtig und wichtig, hierin stimme ich meinen Vorrednerinnen zu, aber Wolfgang Herrndorf, Erich Loest und Fritz Raddatz, um nur drei herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu nennen, die sich in den letzten zwei Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit aus freien Stücken selbst getötet haben, hätten diese hier zu Recht gelobten Konzepte professioneller Hilfe und persönlicher Zuwendung leider nicht geholfen.
Herrndorf, Loest, Raddatz waren in sehr unterschiedlichen Situationen vor ihrem Tod. Sie alle befanden sich aber meiner Überzeugung nach nicht in einer psychischen Ausnahmesituation, und sie haben sich vorbereitet, Herr Dr. Wilke.
Herrndorf litt an einem Gehirntumor, einem Glioblastom: Keine Chance auf Heilung, wenige Jahre bitterer Verfall. "Was ich brauche, ist eine Exit-Strategie", schrieb Herrndorf am 30. April 2010 in seinem literarischen Blog, drei Jahre bevor er sich von dieser Welt verabschiedete. Herrndorf wollte nicht bis zum kargsten Ende miterleben, wie ihm seine sprachlichen Fähigkeiten und alles, was seine Person ausmachte, abhanden kommt, ohne den Funken Hoffnung auf Heilung. Herrndorf hatte den Mut, besagten Tabus zum Trotz sein auswegloses Leid zu thematisieren. Er sollte die öffentliche Debatte anregen, und er beschrieb in drastischen Passagen seine Überlegungen.
Herrndorf musste sein Leben selbst in der Hand haben – und seinen Tod. Er nahm die Pistole. Herrndorf ist kein Einzelfall. Der Freitod ist bestimmt in vielen Fällen ein Fehler, eine psychische Störung, aber eben nicht in allen.
Extrem auch Fritz Raddatz: Notgedrungen handelte er vor der Zeit als vitaler Greis. Von Raddatz wissen wir genau, wie planvoll er vorgegangen ist; denn er hat jeden einzelnen Schritt in den Tod schriftlich aufgezeichnet, Abschiedsbriefe öffentlich gemacht. Raddatz war 83 Jahre alt und kerngesund, als er in Zürich Sterbehilfe in Anspruch nahm. Raddatz wollte den rechten Moment nicht verpassen, hatte Angst davor, nicht mehr rüstig genug zu sein, um die Reise von Hamburg in die Schweiz anzutreten. Ihm hätte eine legale Exit-Strategie in Deutschland vielleicht noch ein paar zufriedene Jahre geschenkt.
Extrem auch Erich Loest, der schon ein Gefangener war, hinter der Zeit handelte. Loest sprang 87-jährig aus dem Fenster seines Zimmers im Krankenhaus. – Ja, vielleicht hätte er sich jemandem anvertrauen können, der
ihm einen anderen Weg hätte eröffnen können. Aber wer ihn wie ich hat kennenlernen dürfen, weiß, dass bei aller nicht auszuschließenden Verbitterung und Enttäuschung Loest sehr bewusst seine Entscheidungen zu setzen verstand.
Freiheit ist ein hohes Gut. Das Grundgesetz garantiert sie so wie die Menschenwürde. Ihre Konsequenz, die Konsequenz der Freiheit, müssen wir aushalten können. Wir haben bereits in anderen Fragen Verfahren ausgehandelt, um zwischen der Selbstbestimmung des Individuums und anderen Werten zu vermitteln. Ich erinnere an den Schwangerschaftsabbruch oder an die Geschlechtsanpassung. Auch im Maßregelvollzug, den wir heute in erster Linie gesetzlich behandelt haben, versuchen wir die Vermittlung zwischen der im Grundgesetz verankerten Achtung der individuellen Freiheit und dem gesellschaftlichen Schutzanspruch und wissen gleichwohl,
(Glocke des Präsidenten)
dass wir beiden Werten nicht gleichermaßen gerecht werden können – und dieses gilt auch für den Suizid. Bei aller Vorsorge müssen wir deshalb die Regeln setzen für die Menschen, die bereit sind, Menschen, die in den Tod gehen, verantwortlich zu begleiten.
Danke schön.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)